Transkriptionsbeispiel
Obwohl Steuerlein sein Werk in etwas "altertümlich" klingendem und gelegentlich im Wortschatz nicht mehr ohne weiteres verständlichem Frühneuhochdeutsch verfasste, gibt es zwei Faktoren, die die Transkription seiner Handschrift erleichtern, wie auch das untere Beispiel zeigt:
1. Die Vorlage:
Zum ersten benutzte Steuerlein als Vorlage seiner Reime, wo er nicht gänzlich frei formulierte (was seltener vorkam), die Lutherbibel (1545, [Digitalisat]). Daher kann man sich sprachlich und aus dem Kontext den größten Teil des Textes sehr leicht erschließen, formuliert Steuerlein doch oft nur ein wenig um, entweder durch Änderung der Reihenfolge der Worte, wie z.B.
Steuerlein | Luther |
21 Vnd goß Jhn drein, Oele vnd Wein, | vnd gos drein Ole vnd Wein |
22 Vnd hub Jhn fein, aufs Thierle[i]n sein. | vnd hub jn auff sein Thier |
Oder aber oft durch Ergänzung (oder Auslassung), wie z.B.:
Steuerlein | Luther |
33 Dem, der mit großer Leibsgefahr, | dem /der |
34 Vnter die Mörder gfallen war? | vnter die Mörder gefallen war? |
2. Endreim und Metrum:
Zum zweiten sollten sich die Verse reimen. Da hier ausschließlich Paareime vorliegen, sollten die letzten Worte zweier aufeinanderfolgender Verse einen Gleichklang haben. Darüberhinaus haben (fast) alle Verse genau 8 Silben. Zwar ist das Metrum nicht immer ganz sauber, aber bestünden, etwa in dem folgenden Fall Beispielweise Zweifel, ob an einer Stelle in einem Wort noch ein meist unscheinbares "e" zu finden wäre, lässt es sich durch das Silbenzählen eigentlich gut nachprüfen:
"Mör-de-ri-sche" (4 Silben) oder "Mör-dri-sche (3 Silben)?
fiel vn-ter die Mör-dri-sche Rott
◡ —ˌ ◡ —ˌ ◡ —ˌ ◡ —ˌ
Steuerleins Handschrift ist in Kurrektschrift geschrieben (einer frühen Form der Schreibschrift). An anderer Stelle werde ich ein Beispielalphabet aus Klein- und Großbuchstaben zusammenstellen. Die beste Übung ist aber die Praxis und der Vergleich bereits transkribierter Texte mit dem Original. Das unten aufgeführte Beispiel verdeutlicht, noch ein paar Kleinigkeiten, die man beachten sollte:
1. Groß- und Kleinschreibung: Jedes Vers beginnt mit einem Großbuchstaben.
2. Rechtschreibung (Nur einige Beispiele):
- "u" ist ist oft "v" (regelmäßig zu sehen bei "vnd", statt "und").
- "v" ist dagegen auch mal "u" (z.B. "Leuit", statt "Levit"; "dauon", statt "davon");
- Austausch von "f" und "v" ("fur", statt "vor" (an anderer Stelle: "vest", statt "fest").
- Dehnungs-h kommt gelegentlich an ungewohnten Stellen vor ("Nhu", statt "Nu(n)"; "bezhalen", statt "bezahlen"), bzw. fehlt an anderen ("jn", statt "ihn").
- Das gleiche gilt für Dehnungs-"ie" ("gieng", statt "ging"; umgekehrt "ligen" statt "liegen").
- Die Umlaute "ä", "ü", "ö" sind selten zu finden ("wehr", statt "wär(e)"(süddeutsch = war); "hetten", statt "hätten" (= hatten); "furvbergegangen", statt "vorübergegangen"; "Oële" statt "Öle").
- Ansonsten beachte man noch die häufige Verwendung von Doppelkonsonanten ("auff"; "Todt", "Barmhertzigkeit", und "ck").
Eine Besonderheit muss noch gesondert erwähnt werden: Doppelkonsonannten (v.a. "m" und "n" werden oft nur einmal geschrieben und mit einem "Nasalstrich" versehen, z.B. "Man̅" und "Jam̅ern".
"Das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter" (Lukas 10,30-37)
Steuerlein (1611) | Luther (1545) |
9 Jhesus Einem ein Gleichnis sagt, | 30Da antwortet Jhesus / vnd sprach / |
10 Von einem Menschen, der da macht | Es war ein Mensch / |
11 Von Jerusalem seine Reis, | der gieng von Jerusalem |
12 Gen Jericho, Vnd böser weis | hin ab gen Jericho / vnd |
13 fiel vnter die Mördrische Rott | fiel vnter die Mörder / Die zogen jn aus / vnd schlugen jn / vnd giengen dauon / |
14 Die Jhn ließen ligen halb Todt. | vnd liessen jn halb tod liegen. |
15 Ein Priester wehr dieselbe Straß | 31Es begab sich aber on gefehr / das ein Priester dieselbige strasse hin abzoch / vnd da er jn sahe / |
16 furvbergegangen. Gleichermaß | gieng er fur vber. 32Desselbigen gleichen |
17 Auch ein Leuit, die, beide Man(n), | auch ein Leuit / da er kam bey die Stet / vnd sahe jn / gieng er fur vber. |
18 hetten gethan, alß gings nichts ahn. | |
19 Ein Samariter abr Jhn fandt, | 33EJn Samariter aber reiset / vnd kam da hin / vnd da er jn sahe / |
20 Aus Jam(m)ern sein Wunden verbandt, | jamerte jn sein / 34gieng zu jm / verband jm seine Wunden / |
21 Vnd goß Jhn drein, Oële vnd Wein, | vnd gos drein Ole vnd Wein |
22 Vnd hub Jhn fein, aufs Thierle[i]n sein. | vnd hub jn auff sein Thier |
23 Jhn Jn die Herberg führt hienein, | vnd füret jn in die Herberge / |
24 Vnd auf das beste pflegte sein. | vnd pfleget sein. |
25 Deß andern Tags Er ferner reist, | 35Des andern tages reiset er / |
26 Mit Zween Groschen sein Lieb beweist, | vnd zoch eraus zween Grosschen / |
27 Gab Sie dem Wirth, Sprach: Pfleg sein sehr, | vnd gab sie dem Wirte / vnd sprach zu jm / Pflege sein / |
28 Vnd so du darthun wirst was mehr, | Vnd so du was mehr wirst darthun / |
29 So wil Jch es bezhalen dir, | wil ich dirs bezalen / |
30 Wenn Jch nhu widerkohmme hier. | wenn ich widerkome. |
31 Welcher dünckt dich, der gewesen sey | 36Welcher dünckt dich / der |
32 Der Nehest, vnter diesen drey, | vnter diesen dreien der Nehest sey gewesen / |
33 Dem, der mit großer Leibsgefahr, | dem /der |
34 Vnter die Mörder gfallen war? | vnter die Mörder gefallen war? |
35 Er sprach: Der die Barmhertzigkeit | 37Er sprach / Der die barmhertzigkeit |
36 An Jhm that, Macht den Vnterscheidt. | an jm that. |
37 Da sprach Jhesus Zu Jhme: Nhu, | Da sprach Jhesus zu jm / |
38 So geh hin, vnd deßgleichen thu. | So gehe hin / vnd thu des gleichen. |