Geschichte der Reimbibeln

Aus Johann Steuerleins Reimbibel
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Kurze und unvollständige Bemerkungen zur Geschichte der 'Reimbibeln'

Was ist (k)eine ‚Reimbibel‘?

Definition bei Franz Kaulen

In "Wetzler und Welte's Kirchenlexikon" (1897) heißt es unter dem Stichwort 'Reimbibel':

Reimbibeln heißen mittelalterliche Übersetzungen der der heiligen Schrift, welche in der dichterischen Kunstform der damaligen Zeit, nämlich in kurzen gereimten Verszeilen abgefaßt sind. […] Die Reimbibeln sind nämlich eigentliche Übersetzungen des lateinischen Bibeltextes, welche nur in dichterisches Gewand gekleidet sind, sonst aber den Wortlaut ihrer Vorlage möglichst beibehalten.“[1]

Der Autor (Herausgeber Franz Kaulen) begrenzt die Gattung ‚Reimbibel‘ also auf:

a) mittelalterliche

b) Übersetzungen (aus dem Lateinischen)

c) In dichterischer Form

Abgrenzung von Bibelepik, Evangelienharmonien und Historienbibeln (Weltchroniken)

'Reimbibeln' sind zu unterscheiden von andere gereimten Bearbeitungen des Bibeltextes:

„Sie haben nichts gemein mit denjenigen dichterischen Gebilden, in welchen die bei den Völkern vorhandene dichterische Schöpfungskraft durch die biblischen Thatsachen neu angeregt und befruchtet wurde, wie mit Cädmons Dichtungen oder dem altsächsischen Heliand (s. d. Artt.); sie sind auch verschieden von den sog. Moralitates, in welchen der biblische Inhalt zur Erbauung ausgedeutet wurde, wie von Otfrids (s. d. Art.) Evangelienharmonie; vielmehr berühren sie sich mit den sogen. Weltchroniken, in welchen die heilige und die profane Geschichte bloß zu lehrhaften Zwecken in gereimter Bearbeitung dargestellt wurden.“ [2]

Bibelepik

Zu den Evangelienharmonien zählt neben dem altsächsischen Heliand (Niederschrift um 830) exemplarisch Otfrid von Weißenburgs' Evangelienbuch (lat. Liber evangeliorum), vollendet zwischen 863 und 871, das als erstes Werk überhaupt den Endreimvers anstelle des Stabreims in das Althochdeutsche einführt. Es gilt als (Bibel)Epos, das Paraphrase mit Kommentar verbindet. Zur Veranschaulichung geben wir hier die die ersten Zeilen aus Otfrid's Vaterunser wieder, zusammen mit zwei hochdeutschen Übersetzungen (1782 und 1910):

Otfrid von Weißenburg (871)

Fater unser guato,

bist druhtin thu gimuato

in himilon io hoher

uuih si namo thiner.

Biqueme uns thinaz richi

thaz hoha himilrichi,

thara uuir zua io gingen

ioh emmizigen thingen.

Si uuillo thin hiar nidare,

sos er ist uf'in himile.

in erdu hüt' uns hiare,

so thu ehgilon duist nu thare.

Karl Hessel (1910)[3]

Vater unser guter,

Herr bist du ein lieber,

Im Himmel sei stets dein Name geweihet, der hohe.

*

Es komme zu uns dein Reich,

das hohe Himmelreich,

Zu dem wir stets gingen,

stets emsiglich dringen.

Dein Wille sei hienieden,

wie er ist im Himmel droben.

Hilf uns hier auf Erden,

wie du den Engeln nun tust dorten.

Historienbibel und Weltchroniken

Was Historienbibel oder Weltchroniken angehet, so sieht Kaulen zwar „Berührungen“ zwischen ihnen und den Reimbibeln, wenn er schreibt:

„Eingeflochten sind manche meist legendenhaften Einzelheiten, welche aus biblischen Apokryphen, mitunter auch aus weltlichen Schriften stammen.“

Legendarische und apokryphe Einschübe seien also kein Ausschlußkriterium für das Etikett ‚Reimbibel‘. Dennoch besteht eine Abgrenzung zu den Weltchroniken, die ebenfalls verschiedene Stoffe zusammenbringen, darin, dass diese den biblischen Text freier bearbeiten würden:

„Hierin unterschieden sich die Reimbibeln von den Weltchroniken, in welchen die heilige Geschichte nach ganz freier Auffassung, ohne Rücksicht auf eine bestehende Form, dargestellt wird.“

Es ergibt sich nun von selbst, dass Kaulen aus diesem Grund die durch ihre Wirkung einflußreiche „Historia scholastica“ des Petrus Comestor auch nicht als Vorgängerin der ‚Reimbibeln‘ ansieht:

„Gewöhnlich nimmt man an, den Reimbibel läge die Historia scholastica des Petrus Comestor zu Grunde; doch darf dies bezweifelt werden, weil hie und da eine Verschiedenheit hervortritt […] und so die Bibel als directe Vorlage erscheinen läßt […].“

Was nun dieses Werk angeht, so hat sich Kaulen allerdings bei mindestens einem der von ihm im weiteren als Reimbibeln bezeichneten Beispiele täuschen lassen: Die von Jakob van Maerlants um 1300 verfasste „Rijmbibel“, obwohl deren gebräuchlicher, allerdings erst aus dem Spätmittelalter stammender (irreführender) Name es nahezulegen scheint, wäre dann keine Reimbibel. Van Maerlant betitelte sein Werk selbst „Scolastica in dietschen,“ und gibt es so als niederländische Bearbeitung ebenjener Historia Scholastica des Petrus Comestor zu erkennen.[4]

Ebenfalls keine „Reimbibel“ ist auch die sogenannte „Meininger Reimbibel“, eine fragmentarisch überlieferte Historienbibel, deren Handschrift in der ehemaligen Meininger Herzöglichen öffentlichen Bibliothek aufbewahrt wurde (heute größtenteils verschollen).[5] Sie stammte aus dem Thüringischen Raum (vermutlich der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts). Auch ihre Hauptquelle ist Petrus Comestor (Vgl. Hans Vollmer, Niederdeutsche Historienbibeln und andere Bibelbearbeitungen (Materialien zur Bibelgeschichte und religiösen Volkskunde des Mittelalters I,2), Berlin 1916, S. 27-29, 107-119: https://doi.org/10.11588/diglit.2077#0123 ) und sie steht damit in derselben Tradition wie Rudolf von Hohenems Weltchronik, bzw. die sogenannte „Christherre-Chronik“.

Auch die sogenannte „Mittelfränkische Reimbibel“ (u.a. auch: „Mittelfränkisches Legendar“ oder „Rheinländische Reimbibel“), verfasst vermutlich in Westfalen zur Mitte des 12. Jahrhundert, wird in der jüngere Forschung als „gereimte Homilie“ („verse homiliary“) bezeichnet. „Eine Anordnung versifizierter ‚homiletic narratives‘, die dann schon aufgrund ihres umfänglichen thematischen Ausgreifens auf außerbiblische Stoffe nicht überzeugen als ‚Reimbibel‘ angesprochen werden kann.“ (https://www.google.de/books/edition/Bibelepisches_Erz%C3%A4hlen_vom_Transitus_Ma/pT3EDwAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&dq=Mittelfr%C3%A4nkische+Reimbibel&pg=PA298&printsec=frontcover , S. 299) (https://handschriftencensus.de/4846).

Mittelalterliche Reimbibeln: Beispiele

1. „Genesis und Exodus nach der Milstäter Handschrift“

(Hrsg von Joseph Diemer, Wien: Carl Gerold’s Sohn, 1862 (Bd. 1 und 2)): https://books.google.de/books?id=gTwyAQAAMAAJ&printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false ) Die Handschrift, dessen ältester Textbestand aus dem österreichischem Raum vom Ende des 11. Jahrhunderts stammt und vermutlich von einem (mönchischem) Geistlichen verfasst wurde, ist die früheste bei Kaulen genannte „Reimbibel“. Sprachlich liegt sie an der Grenze zwischen Alt- und Mittelhochdeutsch. Der Verfasser hat den Text an einigen Stellen gekürzt (es fehlen einige Kapitel, bzw. Versabschnitte) an anderen ergänzt. Insgesamt lässt sich der biblischen Erzählung (Schöpfung, Erzeltern (Abraham, Isaak, Jakob, v.a. Joseph) und Mose) gut folgen.

2. „Bruchstücke einer Gereimten Bibelübersetzung“

(von Wilhelm Gemoll, in: Germania: Vierteljahrsschrift für deutsche Altertumskunde 19 (1874), S. 339-343) https://www.google.de/books/edition/Germania_Wien/E8BgAAAAcAAJ?hl=de&gbpv=1&dq=Bruchst%C3%BCcke+einer+gereimten+Bibel%C3%BCbersetzung+Gemoll&pg=PA339&printsec=frontcover Mittelhochdeutsch, aus dem 13. Jahrhundert (Raum: Mitteldeutschland). Die Fragmente enthalten Stücke aus 2. Samuel, 1. Könige und dem Buch Judith und sind eng am Bibeltext gereimt.

3. „St. Pauler Evangelienreimwerk“

https://handschriftencensus.de/17029 Mittelhochdeutsch, Erste Hälfte 14. Jahrhundert (Raum: Mitteldeutschland). Auf 110 Blatt sind in der Stiftsbibliothek von St. Paul im Lavanthal (Kärnten) die vier Evangelien gereimt erhalten (Der Anfang von Matthäus fehlt). Der unbekannte Verfasser (vermutlich ein einfacher Priester) gab sich große Mühe nah am Text zu bleiben und zur Herstellung seienr Reime nur sachlich unbedeutende Ergänzungen, bzw. „Flickwörter“ aus verschiedenen Mundarten zu verwenden Ein erste ausführliche (erste) Beschreibung von Anton Schönbach („Mittheilungen aus altdeutschen Handschriften VI: Ueber ein mitteldeutsches Evangelienwerk aus St. Paul“, in: Sitzungsberichte der phil.-hist. Classe der kaiserl. Akademie der Wissenschaften 137 (Wien: 1898), S. ) hier: https://archive.org/details/sitzungsbericht244klasgoog/page/n240/mode/2up?view=theater Das Werk ist vollständig ediert (Johannes Fournier: Das St. Pauler Evangelienreimwerk. Bd. 1: Text, Bd. 2: Untersuchungen (Vestigia Bibliae 19/20), Bern u.a. 1998.) Das Vater unser (nach Schönbach):

„Vater, du der in himeln bist, geheiligit werde zu aller frist din name, uns kum din riche zu. din wille der gewerde nu rehte als in himel uf der erden. und unser degelich brot du werden uns hude. und unser sunde nim uns abe. reht als uns gezim, daz wir verlazen allen eben, die sollent uns iht wider geben, also daz du in bekorunge iht verleidest uns in der geschiht.“

4. Surtees Psalter

Aus dem Angelsächsischen Raum sei hier der Surtees Psalter abschließend noch genannt. Er stammt aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts und ist auf Mittelenglisch überliefert.[6] Als Beispiel daraus Psalm 1:1-2 mit Vergleich der Prosa-Übersetzung durch John Wycliff (1395):

Surtees Psalter (ca. 1275)

Seli biern þat noghte is gan

In þe rede ofe wicked man,

And in strete of sinfulle noght he stode,

Ne sat in setel ofe storme vngode;

Bot in lagh ofe lauerd his wille be ai,

And his lagh thinke he night and dai.

Wycliff Bible (ed. 1395)

1Blessid is the man, that yede not
in the councel of wickid men;
and stood not in the weie of synneris,
and sat not in the chaier of pestilence
2But his wille is in the lawe of the Lord;
and he schal bithenke in the lawe of hym dai and nyyt.


https://archive.org/details/GoedekeGrundrissZurGeschichteDerDeutschenDichtung-2-1/page/226/mode/2up?view=theater

Frühe Neuzeit: Reimen mit und nach Luther

Nach der obigen Definition kann es eigentlich keine Reimbibeln mehr geben, da das Mittelalter nunmal vergangen ist und im heute niemand mehr auf die Idee kommt ist die Vulgata in gereimter Form in eine Moderne Sprache zu übersetzen. Das Zeitalter der Reformation zeichnet sich allerdings durch eine lebhafte Aktivität zur Übersetzung der biblischen Schriften und Vermittlung ihrer Inhalte in den Volkssprachen aus, in der auf vielfältige literarische Formen zurückgegriffen wurde, zu denen auch solche der lyrischen (poetischen) Gattung gehörten.

Lieder: Luthers Psalmenlieder, Ambrosius Lobwasser Übersetzung des ‚Genfer Psalters‘

Das „Achtliederbuch“ („Etlich Cristlich lider / Lobgesang und Psalm“, Wittenberg (eigentl. Nürnberg), 1524. Enthält mit „Ach Gott, vom Himmel sieh darein“ (nach Psalm 12), „Es spricht der Unweisen Mund wohl“ (nach Psalm 14) und „Aus tiefer Not schrei ich zu dir“ (nach Psalm 130), enthielt drei Psalmenlieder Luthers.

Erfurter „Enchiridion“ (1524):

: „Aus tieffer not schrey ich zu dir / AVs der tieffen / Ruffe ich HERR zu dir.
: herr Gott erhör mein ruffen. Dein gnedig oren ker zu mir / vnd meyner bit sye offen. HErr höre meine stimme / Las deine Ohren mercken auff die stimme meines flehens.
: Den so du wilt das sehen an / wie manche sund ich hab gethan. So du wilt HErr sünde zu rechen?
: Wer kann herr fur dir bleiben HErr / Wer wird bestehen?

Lutherbibel (1545)


Verreimungen der Psalmen in der Volkssprache waren bereits im Mittelalter populär. Ab der Reformation bekamen solche Übertragungen/Übersetzung jedoch eine hervorgehobene Bedeutung für den Gemeindegesang im Gottesdienst. Der Genfer Psalter (franz. Psautier de Genève) mit seiner lyrischen Übersetzung der Psalmen durch Clément Marot (1496–1544) wurde als exkusives gottesdienstliches Gesangbuch der reformierten Tradition durch Johannes Calvin eingeführt. Im Gegensatz zu Luthers Dichtungen und denen andere lutherische Dichter und Bearbeiter, durfte der biblische Text dabei allerdings weder verkürzt noch erweitert werden. In einer Übersetzung durch Ambrosius Lobwasser (erschienen 1573 als Der Psalter des königlichen Propheten David) kam er auch im Deutschen Sprachraum in Gebrauch. Psalm 130: „1. Zu dir von hertzen grunde Ruff ich aus tieffer not / Es ist nu zeit und stunde / Vernim mein bitt Herr Gott / Eröffne deine ohren Wann ich Herr zu dir schrey / Thu gnediglich anhoren Was men anliegen sey.

2. Denn wenn du Herr geschwinde Wolst richten vnser sünd / Wen würd man alßdenn finden Der für dir Herr bestünd? […]“[7]

Joachim Greff und das sächsische Reformationsdrama

Ein anderers Mittel stellten Dramatisierungen biblischer Stoffe dar, die im Stil der Zeit aus gereimten Mono- und Dialogen bestanden. Joachim Greff (1510-1552) dichtete verschiedene biblische Stoffe für Theateraufführungen um. Es entstanden die Dramen Jacob (1534), Susanna (1535), Judith (1536), Abraham (1540), Osterspiel (1542), Auferweckung des Lazarus (1545) und Zachäus (1546). Gegen Kritik anhaltischer Theologen wurden seine Stücke 1543 u.a. von Martin Luther und Philipp Melanchthon verteidigt.

Evangelienharmonien

Auch in der Zeit der Reformation waren Zusammenstellungen der Lebens- und Leidensgeschichte Jesu aus den vier Evangelien weiterhin als Genre existent, wenn sie auch im reformatorischen Sinne von aprokryphen und nicht-biblischen legendarischen Elementen bereinigt wurden. 1538 erschien zu Wittenberg „Das Leiden vnd Aufferstehung unsers Herrn Jhesu Christi aus den vier Evangelisten durch D. Johan Bugenhagen Pomern vleissig zusamen gebracht vnd nachmals durch Joachimum Greff von Zwickau jnn Deudsch Reim verfasset“ - eine erbauliche Evangelienharmonie.

Christoph Corners (1518-1594) „Biblia für den gemeinen Man“ (gedruckt zu Dresden 1568) ist eine gereimte summarische Nacherzählung der Bibel, wobei er sich auf die "Historia" beschränkt (unter Auslassung der Weisheitsliteratur (Psalter, Sprüche, Prediger etc.)). Im Falle des Neuen Testaments bietet es eine (Kurz)Biographie Jesu aus allen vier Evangelien, die in drei Teile gefasst ist:

1. Historia aus dem Nawen Testament/ nach den vier Evangelisten.
2. Historia des Leidens Jhesu Christi/ nach den vier Evangelisten.
3. Historia vom Sterben und Aufferstehung Jhesu Christi.

Christoph Corner (1518-1594)

"Biblia für den gemeinen || Man/ Jnn welcher die fürnembsten Ge=||schicht des Alten vnnd Nawen Testaments begriffen/|| aus der Biblia ... zusamen gezogen/ vnd in || kurtze Reime verfasset ... || Mit vorzeich=||nüs wo eine jedere Historia weit=||leufftiger beschrieben vnd || zufinden sey.|| Durch || CHRISTOPHORVM CORNERVM || FRIBERGENSEM.|| ... ||." (Dresden: Stöckel, Matthes d.Ä, 1568).
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‚Figurenbände‘ / Holzschnittbände mit gereimten Texten

Gewissermaßen im Gefolge der mittelalterlichen Armenbibeln steht der Figurenband von Jost Amman (1539-1591) mit Text von Heinrich Peter Rebenstock (1541-1595): „Neuwe Biblische Figuren: Künstlich vnd artig gerissen, durch den sinn vnd kunstreichen auch weitberühmte[n] Jost Amman, von Zürych, mit schönen Teutschen Reimen, welche den gantzen in[n]halt einer jeden Figur vnd Capitel kurtz begreiffen, zuvor dergleichen nie im Druck außgangen — Frankfurt a.M., 1571“ https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/rebenstock1571/0024/image,info


Gereimte Summarien und Perikopenepigramme

Eine andere Form der Bearbeitung des Bibeltextes, um dessen Vermittlung zu erleichtern, stellen epigrammatische Summarien (‚knapp, treffende Zusammenfassungen‘) dar, die den Inhalt einzelner Geschichten, Kapitel, Perikopen, Bücher und der ganzen Bibel in mehr oder weniger eingängigen Reimen wiedergeben. Diese Literaturgattung hatte im 16. und 17. Jahrhundert ihren Höhepunkt und bietet zahlreiche ganz unterschiedliche Beispiele:

Burkhard Wald

1. Der ehemaliger Franziskanermönch Burchard Waldis (ca. 1490-1556) übersetzt und reimte nicht nur ein eigenes Psalmliederbuch (1553: https://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/inc/content/pageview/8833957 ), das sich gegenüber dem Werk von Ambrosius Lobwasser durch größere lyrischere Freiheit auszeichnet, sondern übersetzte auch die (lateinischen) Summarien des reformierten Theologen Rudolf Gewalther (1519-1586). „Argumentorum in sacra Biblia“ (Frankfurt, 1556). Bd. 1 (Altes Testament) https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10999356?page=,1 Bd. 2 (Neues Testament) https://opendata2.uni-halle.de/handle/1516514412012/4550

Ludwig Helmbold

2. Ludwig Helmbold (1532-1598), Pfarrer zu Mühlhausen, veröffentlichte zunächst auf Latein einversige Summarien jedes Kapitels der Bibel. Diese „Monosticha“ wurde 1577 zu Mühlhausen gedruckt. Ambrosius Sidelius (1534-1613) verdeutschte diese Verse und machte aus ihnen zweizeiler („Disticha“), die 1587 zu Erfurt gedruckt wurden.

Johannes Paludanus

3. Johannes Paludanus (1565-1630):

"Die klein Bibel, Darinnen alle Capitel, Alts vnd Newes Testaments, also eingezogen, vnd in Reimen verfaßt, das jeder Reim, Ein, zwen, oder drey Hauptpuncten seines Capitels in sich begreiffet, [et]c. : Der lieben Christlichen Jugendt, vn[d] mänigklichen, so ein lußt vnnd liebe zur Bibel tragen, zu nutz vnd ehren gestelt / Durch Johannem Paludanum Pfarher zu Neckergarieningen, Waiblinger Vogthex, [et]c." (Tübingen: Hock, 1589).
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Paludanus entspricht dem Stil von Ludwig Helmbolds "Monosticha", insofern er für jedes Kapitel genau einen Vers dichtet. Als Beispiel die Kapitel 7 bis 10 des Lukasevangeliums:

7 Der Hauptmann glaubt / der Todt auffsteht.
8 Der Seemann /d Brüder: S Wätter zghet.
9 D Jüngern außschickt / sein Armut klagt.
10 Wer ist mein Nechster ihn Pfaff fragt.

Andreas Mergilet (1539-1606)

"TETRASTICHA LATINOGERMANICA. [...] Kurtzer Innhalt der Sontag vnd Fest durchs Jhar Epistel vnd Euangelien : in Sententz und Gebetleins weise je mit vier Verßlein, Lateinisch und deutsch, fur Einfeltige, Christlicher meinung gebracht." (Schmalkalden: Schmuck, 1593).
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Mergilet verfasste vierversige Perikopenepigramme auf Latein und Deutsch. Beispiel: Der 13. Sonntag nach Trinitatis.

Sathan all Menschen hat verwundt /
Wedr Gsetz noch Opffr hie helffen kundt.
Des einign Samariters gunst
Tregt / hilfft / herrbergt / pflegt / heilt umb sunst.[8]

‚Frühmoderne Reimbibeln‘? – Johann Steuerlein und Ambrosius Lobwasser

Die Frage ob es so etwas wie ‚frühmoderne Reimbibeln‘ gibt ist zu stellen. Wenn wir uns die verschiedenen Werke ansehen, so sind sie fast ausnahmslose summarische Bearbeitungen des Bibeltextes, der in mehr oder minder großem Umfang je nach Zweck, etwa nur als Begleittext zu Holzschnitten, benutzt wird. Es fehlt also die ‚interlineare‘ Beziehung zwischen Ausgangs- und Zieltext, wie er im Falle einer Übersetzung vorliegt. Eine Ausnahme davon bilden die Psalterverreimungen von Lobwasser und Waldis, da sie tatsächlich den ganzen Text eine biblischen Buches mittelbar aus der biblischen Vorlage (bei Lobwasser aus einer französichen lyrischen Übersetzung, bei Waldis vermutlich aus der Luthertext) übertragen. Beide Texte sind allerdings explizit als Gesangbücher mit beigefügten Melodien konzipiert.

Lobwassers Biblia (1584)

Ambrosius Lobwasser hat allerdings noch ein anderes Werk hinterlassen:

"Biblia/|| DArinnen die Sum=||marien aller Capittel der gantzen || heiligen Schrifft mit sonderlichem || fleis in deutsche Reim verfasset [...]" (Leipzig : Grosse, Henning ; Steinmann, Hans, 1584).
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Die Summarien seiner "Biblia" bieten, geordnet nach Büchern und Kapitel, gereimte Bearbeitungen des biblischen Textes, wobei sich der Umfang der Bearbeitung, bzw. die Nähe zum Textbestand des Original unterscheiden können: Im ersten Teilband sind der Pentateuch (= 5 Bücher Mose), die Geschichtsbücher, die Propheten, und Teile der Weisheitsschriften und Apokryphen kapitelweise zusammengefasst. In einem zweiten Teilband sind dagegen die Bücher Jesus Sirach, die Sprüche Salomo und Prediger Salomo (Kohelet) "vollkömlich in deutsche Reim verfasset". Das im dritten Teilband enthaltene Neue Testament ist wiederum ebenfalls nur "summarischer weise verfasset". Wie dies aussieht sei anhand des 10. Kapitel des Lukasevangeliums gezeigt, das im Kreuzreim verfasst ist (Die Zahlen geben den jeweiligen Vers des Kapitels an):

Cap. X
1 Jesus jhr siebentzig schickt aus /
Gibt jhn(n) befehl / vnd thut sie lehrn
Wenn sie wandern / vnd in ein haus
8 Oder in eine Stadt einkehrn /
Weß sie sich denn verhalten sollen /
Die da verstockt sein / er wehklagt /
Vnd die sich nicht bekehren wollen /
20 Selig er seine Jünger sagt /
Vnd giebt ihn(n) macht vber die Schlangen.
25 Wer vnser nechster sey / er lehrt /
Vnd wie die seligkeit zurlangen /
38 Zu Martha endlich er einkehrt."[9]

Lobwassers Werk unterschiedet sich bis auf die Bücher Jesus Sirach, Sprüche und Prediger, im Stil nicht von denen die summarische Epigramme bieten. Tatsächlich ist seine lyrische und inhaltliche Qualität dadurch gemindert, dass er sich um strukturelle Vollständigkeit bemüht, wo durch das Werk etwas „registerhaftes“ bekommt.

Johann Steuerleins "Biblia" (1611)

Zum Vergleich ziehen wir zuletzt Johann Steuerlein heran, der sich in seinem Vorwort namentlich auf die Werke Helmbolds und Mergilets beruft. Insbesondere Mergilets Vierzeiler, die in der Regel einen einzigen inhaltlich Schwerpunkt setzen und damit ein kohärenteres Bild abgeben, sind die eigentlichen Vorbilder Steuerleins – im Gegensatz zu den eher unattraktiven, enigmatisch zusammengekürzten Zeilen von Waldis, Helmbold, Paludanus und Lobwasser. Steuerlein ist, neben mehreren vollständig gereimten Büchern (Psalter, Sprüche, Jesus Syrach, Tobit, u.a.), auch in vielen anderen Büchern gerade mit erzählerischem Inhalt jedoch weit über Mergilets Vierzeiler hinausgegangen. Durch die explizite Nähe zur Lutherübersetzung bekommt also ein wesentlich größerer Teil seines Werkes einen den Text übertragenden, und nicht summierenden Charakter. Falls also jemand so etwas wie eine ‚frühmoderne Reimbibel‘ verfasst haben sollte, dann scheint Steuerlein am nächsten dran gewesen zu sein.

‚Reimbibeln‘ im 21. Jahrhundert

Zum Abschluss seien – unter Übergehung mehrere Jahrhunderte - hier noch ein paar Werke aus der jüngeren Zeit vorgestellt, die zum Teil selbst die Bezeichnung „Reim(e)bibel“ führen, auch wenn sie formell alle eigentlich im weitesten Sinne als ‚Erbauungsliteratur‘ einzuschätzen sind. Fünf Jahrhunderte nach der Refomation, während der Bibeltext inzwischen etliche Male ins Deutsche übersetzt wurde, hat sich in Zeiten von Kirchen- und Christentumskritik, Kirchenferne und Traditionsabbruch die Zielsetzung gewandelt. Die lyrische Form ist ein Experimentierfeld um das wesentliche der Texte herauszukitzeln gegenüber einer Leserschaft, für die die traditionellen Sprache nicht mehr verständlich ist, bzw die ihrer überdrüßig geworden ist. Sie dient aber auch der Aktualisierung und der Textauslegung, wozu der Einsatz von Verfremdungstechniken (Anachronismen) dabei gelegentlich nicht gescheut wird.

Lothar Steiger: „Himmelpforten - Reimpostille auf alle Sonn- und Feiertage“ (2003)

Das Werk des emeritierten Theologieprofessors und Heidelberger Universitätspredigers steht am ehesten formal noch in der Tradition der Perikopenepigramme. Die Reimformen sind vielfältig. Langeweile oder Gewöhnung an ein Schema F soll sich nicht einstellen. Manche Texte bleiben nah am Evangeliumstext und sind in klar erkennbarem und gefälligem Paarreim, Kreuzreim, umarmendem Reim verfasst. Andere aber sollen es dagegen – so wie die Perikope manchmal selbst – es dem Leser nicht zu einfach machen. Nur selten erlaubt sich Steiger einige explizite „Ausbrüche“ oder besser „Einbrüche“ unserer Zeit in den Text, so wie zum 10. Sonntag nach Trinitatis (Lukas 19,41-44): „Ihr Christenmenschen, weint an Jesu Statt! Doch über euch und was der Christus meinte: Worüber Er auch neulich wieder weinte Vor Auschwitz, Dresden und vor Stalingrad.“

Dirk Klute: „Die Reime-Bibel I“ (2019), „Die Reime-Bibel II“ (2020)

Dirk Klute hat ähnlich wie Lothar Steiger den Versuch unternommen, biblische Texte explizit für Andachten, Predigten und Gottesdienst in lyrischer Form neu zugänglich zu machen. „Die Reime-Bibel“ (inzwischen 2 Bände erschienen 2019 und 2020), bietet ebenfalls eine Auswahl zentraler biblischer Geschichten. Der Autor erzählt diese nach und erlaubt sich auch Freiheiten bei Übertragung in die Moderne.

Thomas Brezina: „Die Bibel in Reimen“ (2021)

Der österreichische Kinder- und Jugendbuchautor hat mit seiner „Die Bibel in Reimen“ ein Werk vorgelegt, dass sehr frei, aber respektvoll und v.a. mit pädagogischen Interesse („Für Erwachsene und Kinder“) an die biblischen Geschichten herangeht.

Zum Schluss: Ein Sonderfall

Wolfgang Klosterhalfen: „Die Reimbibel: heitere Aufklärung über den christlichen Aberglauben.“ (2009) und weitere Auflagen und Ausgabe. Wolfgang Klosterhalfen’s „Kleine Reimbibel“ die als „poetische Darstellung und Kritik“ verkauft wird, ist eigentlich das Ergebnis des atheistischen Aktivismus des Autors, das er auf seiner Website (reimbibel.de) auch breit vorstellt. Eigentlich gehört sie formal auch nicht in diese Auflistung, da das Werk eigentlich eine lyrische Bibel- und Christentumskritik ist. Sie sei hier dennoch aufgezählt, weil sie das Etikett ‚Reimbibel‘ für sich beansprucht und gewissermaßen ‚besetzt‘ hält.

Anmerkungen und Belege

  1. Zweite Auflage, Hrsg. von Franz Kaulen, Bd. 10 (Freiburg: Herder, 1897), Sp. 963-967. Digitalisat
  2. Zweite Auflage, Hrsg. von Franz Kaulen, Bd. 10 (Freiburg: Herder, 1897), Sp. 963-967. Digitalisat
  3. Zitiert aus: Karl Hessel: Altdeutsch. Von Ulfila bis Leibnitz. Zum Gebrauch für höhere Schulen. Bonn: A.Marcus & E. Weber, 1910, S. 13. Digitalisat
  4. https://nl.wikipedia.org/wiki/Rijmbijbel
  5. https://handschriftencensus.de/werke/608
  6. Digitalisat auf archive.org
  7. https://www.digitale-sammlungen.de/de/view/bsb10205811?page=949
  8. https://books.google.de/books/content?id=ZYY89YvTafgC&hl=de&pg=PP79&img=1&zoom=3&sig=ACfU3U3yz2b_72g7bOHEPMD_o9kKcCGwoQ&ci=216%2C783%2C657%2C369&edge=0
  9. https://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht?PPN=PPN895238608&PHYSID=PHYS_1086&DMDID=DMDLOG_0013